Das berühmte Shaolin Kloster im chinesischen Henan ist heute ein Disneyland für Kampfkunst-Interessierte. Meine Frau durfte mit den Mönchen trainieren und verließ den Ring als Siegerin.
Der kleine Wald
Kwai Chang Caine wurde hier von seinem blinden Meister zum unbesiegbaren Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit ausgebildet und avancierte damit zum Straßenfeger der 1970er. Wer kennt sie nicht, die Filmreihe «Kung Fu», mit sagenumwobenen Kampf-Mönchen, die schier unglaubliche Fähigkeiten besitzen, asketisch leben und fern ab der Zivilisation meditieren und trainieren.
Nun ja…
Shaolin Transformers
Wie sehr sich die Welt im Umbruch befindet, ist exemplarisch an der Transformation des Shaolin Tempels zu bestaunen.
Diesen Ort besuchten meine Frau Yan und ich zum ersten Mal im Frühjahr 2002. Abgesehen von einer Gruppe tibetischer Mönche, waren außer uns nur wenige Touristen anzutreffen.
Ein Bus brachte uns von Luoyang, einem Dorf mit gerade einmal 6,5 Millionen Einwohnern, zu einem schmalen Schotterpfad. Von hier aus wanderten wir gemächlich zum Sehnsuchts-Ort vieler Kampfkünstler. Auffällig waren die zahlreichen Kung Fu Schulen in diesem Areal, in denen fleißig und mit teils militärischem Drill geübt wurde. Im Tempel selbst konnten wir uns umsehen und ungehindert fast überall reinschnuppern. Der einzige Anhaltspunkt für die einsetzende Moderne war ein einsames Auto, das vorm Haupteingang parkte. Acht Mönche gaben uns für umgerechnet zwei Euro eine Kostprobe ihres Könnens und waren für einen freundlichen Klönschnack zu haben.
Elf Jahre später unternahmen wir einen erneuten Ausflug nach Shaolin, um unserem Karate-Lehrer Stefan die Wiege chinesischer Kampfkunst näher zu bringen.
Endboss Kommerz
Um es kurz zu machen, bei Wikipedia heißt es trocken: «Das Shaolin-Kloster und seine Umgebung sind heute auch Touristen Attraktionen.»
Rummelplatz wäre die passendere Formulierung. Bezeichnend auch, dass vor der Kloster-Bibliothek ein Auto mit Mickey-Mouse und Disney-Aufklebern parkte.
Haben in grauer Vorzeit Kämpfer des hiesigen Ordens Feinde mit Fuß und Faust bekämpft, so wird der mit iPhone und Selfiestick bewaffnete Eindringling heute mit Kitsch und Nippes erschlagen.
Kampfkunstschulen sind riesigen Bus-Parkplätzen gewichen, der schmale Weg hat sich in einen ausgewachsenen Boulevard verwandelt. Ticket- und Souvenir-Shops, Hotels, Großbildleinwände, Snack-Buden und vor allem: eine große Vorführhalle (Wushu-Guan) sind entstanden. Gleich einer Zirkusmanege werden stündlich artistisch beeindruckende Show-Einlagen dargeboten.
Gewonnen
Ein Bestandteil der Shaolin Vorführung war es, drei Freiwillige aus dem Publikum zu ermutigen, mit den Kampfmönchen zusammen auf der Bühne zu trainieren. Meine unerschrockene Frau meldete sich und begab sich ins Rampenlicht. Die Aufgabe bestand nun darin, jeweils alleine mit einem Mönch eine Form (Kata / Tao Lu) vorzuführen. Der Lehrer machte die Bewegungen vor und meine Liebste sollte sie möglichst genau kopieren. Gleiches galt dann für einen anderen Mann und eine junge Frau. Später sollte das Publikum per Applaus entscheiden, wer es am besten hinbekommen hat. Yan hat den Wettbewerb gewonnen und bekam als Hauptgewinn eine Shaolin-Doku-DVD überreicht.
Wie in einem vorherigen Artikel über Tibet angedeutet, bleibt auch hier kein Stein auf dem Anderen. Als Konsequenz steigender Finanzkraft und mehr Wohlstand planieren Massentourismus und Gewinnstreben nach und nach alles, was den Reiz vieler entlegener Orte einst ausmachte.
Das unlösbare Dilemma und damit die Kehrseite der viel beschworenen ‹Gerechtigkeit› besteht darin, dass mehr Freiheit für Alle zuweilen zu weniger Freiheit für Alle führt. Wenn ein Jeder sich ein großes Auto kaufen kann – und genau das tun Chinesen zu Millionen – stehen Alle im Stau. Je mehr Leute einen schönen Ort bereisen, desto mehr geht diese Schönheit verloren und man tritt sich in endlosen Warteschlangen gegenseitig auf die Füße.
Viele Grüße
Olliwaa